Corona-Virus in Syrien: Exklusiv-Interview mit Franziskaner aus Idlib Projektpartner im Gespräch mit Missio Österreich Wir bitten um Ihre Unterstützung: https://www.missio.at/projekt/katastrophenhilfe-fuer-syrien/ Bruder Hanna: Weltkirche ist uns nahe Interview von LENA HALLWIRTH Ausgangsbeschränkungen sind für die Menschen in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens längst Teil ihres Alltags. Sich frei bewegen zu können, ist in dem Land, in dem seit neun Jahren Krieg herrscht, schon lange nicht mehr möglich. Der Franziskaner Hanna Jallouf sorgt sich um die letzten christlichen Familien und um die vielen anderen Geflüchteten, die in seiner Gemeinde nahe der Grenze zur Türkei gestrandet sind. In einem exklusiven Interview mit Missio Österreich berichtet er über die aktuelle Situation und was ein Ausbruch des Corona-Virus bedeuten würde. | Wie haben Sie in diesem Jahr Ostern gefeiert? Gott-sei-Dank konnten wir Ostern feiern. Wir haben die Liturgie etwas angepasst, um uns auf die aktuelle Corona-Krise zu beziehen, das Corona-Virus hat unsere Dörfer aber noch nicht erreicht. Wir haben in den beiden Kirchen in Knayeh und Yacoubieh gefeiert und die Menschen konnten – natürlich unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes – mitfeiern. Wir haben für uns und für Europa gebetet. Selbst wenn viele Menschen hier leiden und sterben, bewegt es sie sehr, was gerade in der Welt passiert. | Inwiefern schränkt Sie die dschihadistische Gruppe, die das Gebiet kontrolliert, in der Ausübung Ihres Glaubens ein? Das Übereinkommen, das wir mit den Dschihadisten getroffen haben – es wurde uns aufgezwungen – behindert unsere Aktivitäten innerhalb der Kirche nicht. Wir dürfen aber nicht die Glocken läuten und mussten alle christlichen Symbole außerhalb der Kirche entfernen. Frauen müssen sich in der Öffentlichkeit vom Kopf bis zu den Knöcheln bedecken. | Hat der aufgrund der Corona-Krise vereinbarte Waffenstillstand in ihrer Gegend bisher gehalten? Der Waffenstillstand wurde bisher eingehalten. Aber die Rebellen [Anm.: ein Zusammenschluss extremistisch-islamistischer Gruppen namens Hayat Tahrir al-Sham (HTS)] sind gelegentlich mit einigen Aktionen nicht einverstanden. Sie haben etwa die Autobahn M4 durchlöchert, um türkische und russische Truppen an der Überwachung des Gebiets und der Erfüllung ihrer Mission zu hindern. In den letzten zwei Monaten wurden wir Zeuge, wie sich die Rebellen auch der Türkei widersetzt haben. Ich denke, das wird ein Schlüsselpunkt für künftige Entwicklungen in der Region sein. Nach den Kämpfen auf der Autobahn M4 haben die Zusammenstöße wegen des Corona-Virus fast ganz aufgehört. | Wovon leben die Menschen in den Dörfern, in denen Sie als Priester tätig sind? Die Menschen in unseren Dörfern leben derzeit von der Hilfe, die wir ihnen über das Hilfswerk der Kustodie des Heiligen Landes [Anm.: Ordensorganisation der Franziskaner im Heiligen Land] zukommen lassen. Sie leben also dank Missio Österreich und anderen Partnern der Franziskaner. Manche Menschen, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden, leben in offiziellen Flüchtlingscamps. Andere kampieren in der Landschaft, sie bezahlen dafür, indem sie die Obstbäume der Besitzer pflegen und als Erntehelfer arbeiten. Wir versuchen ihnen bestmöglich zu helfen. Es gibt nur sehr wenige andere Organisationen, die ihnen helfen. | Wie können sich die Geflüchteten unter diesen Umständen vor dem neuen Corona-Virus schützen? Leider gibt es hier keine Mittel, um sich vor dem Corona-Virus zu schützen. Wenn das Virus hier eintrifft, wird es ein unendliches Massaker geben. Aber wir danken dem Herrn, weil die Rebellen seit mehr als sechs Monaten alle Straßen blockiert haben, die in die Provinz Idlib hinein und aus ihr herausführen. So haben sie indirekt auch eine Ausbreitung des Virus bisher verhindert. | Was brauchen die Geflüchteten derzeit am dringendsten? Die Binnenvertriebenen benötigen derzeit Wasser, um sich zu waschen und für alle übrigen Sachen. Und sie brauchen Nahrung. Wir helfen, wo wir helfen können. In der Umgebung unserer Dörfer gibt es mehr als 200 Familien aus christlichen Gemeinden und wir versuchen auch die etwa 80-100 muslimischen Familien zu erreichen. Im Allgemeinen helfen wir ihnen, indem wir Wassertanks und kleine Geldbeträge entsprechend der Anzahl der Familienmitglieder verteilen. Den Christinnen und Christen in unseren drei Dörfern helfen wir mit 40 Dollar pro Monat, damit sie sich Lebensmittel, Wasser und Treibstoff für die Generatoren kaufen können. Darüber hinaus kaufen wir Medikamente für alte und kranke Menschen und finanzieren die Ausbildung unserer Jugend. Wir kaufen auch Milch und Windeln für kleine Kinder, denn sie sind hier sehr teuer. | Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um sich vor dem Virus zu schützen? Wir haben in den Kirchen das Weihwasser aus den Weihwasserbecken entfernt, wir halten Abstand und berühren uns beim Friedensgruß während der Messe nicht mehr. Auch die Fußwaschung am Gründonnerstag und den Kuss des Kreuzes und Christi haben wir in diesem Jahr ausgesetzt. Wir grüßen uns nicht mehr, indem wir uns die Hand geben, sondern wir haben die „indische“ Begrüßung, also die Verbeugung, eingeführt. Wasser, Lebensmittel und andere Hilfsgüter verteilen wir möglichst direkt an die Familien, damit keine größeren Menschenansammlungen entstehen. In Kürze beginnen wir damit, Hygieneartikel zu verteilen. Leider ist die Region nicht auf eine Epidemie vorbereitet. Wenn das Virus uns erreicht, wird das eine wirkliche Katastrophe. Wir hoffen sehr, dass Russland und die Türkei zusammenarbeiten, um die Rebellen davon zu überzeugen, medizinische Hilfe aus der Türkei und aus Gebieten, die vom syrischen Staat kontrolliert werden, nach Idlib kommen zu lassen. In der Provinz Idlib wurde nun damit begonnen, Corona-Tests durchzuführen. Die Menschen haben eher keine Angst vor dem Virus und diejenigen, die Arbeit haben, gehen auch weiterhin zur Arbeit. Auch die Geschäfte sind nach wie vor geöffnet und das Leben geht seinen Weg. Bisher haben wir keine Fälle von Infizierten. Die Rebellen kontrollieren die Grenze zur Türkei und wer versucht, heimlich ins Land zu kommen, wird sofort verhaftet und 15 Tage lang unter Quarantäne gestellt. | Wie geht es den Kindern in Ihren Gemeinden mit dieser Situation? Es gibt viele Geburten bei uns, denn die Menschen sind ja seit Jahren zu Hause eingesperrt! Aber es fehlt den Kindern am Notwendigsten. Sie leben von dem, was der Herr ihnen mithilfe der Spender und Spenderinnen gibt. Die Kinder haben sich quasi an den Krieg und die vielen Schwierigkeiten gewöhnt. Es scheint so als hätten sie keine Angst, aber in Wirklichkeit fürchten sie sich. Darum geht es: Sie zeigen ihre Angst nicht mehr. In Zukunft wird es wichtig sein, ihnen zu helfen, ihre Gefühle, ihre Ängste und ihre Freude wieder ausdrücken zu können. Sie wollen alle wieder gemeinsam lernen und miteinander spielen. | Wie können Sie den Menschen Hoffnung schenken? Den Menschen nahe zu sein, ihnen bei ihren Problemen und in ihrem Leid nahe zu sein, ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass sie nicht ihrem Schicksal überlassen sind. Die Weltkirche ist ihnen nahe und wir hoffen alle, dass der Tag unserer Befreiung ebenfalls nahe ist und es nach dem Tod immer eine Auferstehung geben wird. Allein die Möglichkeit der Auferstehung schenkt immer wirkliche Hoffnung. | Was erwarten Sie von westlichen Ländern? Ich erwarte von westlichen Ländern, dass sie die Handelsblockade gegen Syrien aufheben und uns finanziell unterstützen. | Was gibt Ihnen selbst Hoffnung? Wir sind sicher, dass wir nicht allein sind! Die Hand des Herrn ist über uns, und Er ist es, der uns beschützt. In diesen neun Jahren des Krieges haben wir das erlebt! „Ich bin bei euch bis ans Ende der Welt“, sagt Jesus. Am Ende des Tages sind wir voller Dankbarkeit. Weitere Informationen zur Lage in Syrien finden Sie auf der Website von Missio Österreich: https://www.missio.at/corona-virus-in-syrien/